Schnitzel 2.0: Sauberes Fleisch aus der Zellkultur kommt

Unternehmen weltweit arbeiten am Fleisch aus dem Labor. Der Markt für Clean Meat ist gigantisch, doch noch sind nicht alle Probleme gelöst

Wenn Vegetarier und Veganer Gründe aufführen, warum man besser kein Fleisch ist, haben die Karnivoren unter uns wenig entgegen zu setzen. Das Methan aus der Fleischindustrie belastet die Atmosphäre. Tiere werden meist nicht artgerecht gehalten. Der Einsatz von Antibiotika bei der Tierzucht fördert Resistenzen, die auch für uns Menschen gefährlich werden können. Der Anbau von pflanzlicher Nahrung für die Tiere frisst immer mehr Ressourcen.

Was also tun? Ganz verzichten kommt nur für wenige in Frage, selbst weniger Fleisch essen stellt für viele ein Problem dar. Fleischersatz aus Soja und Erbsen boomt zwar, ist aber bei weitem kein Ersatz. Echtes Fleisch ist und bleibt halt echtes Fleisch.

Noch … denn Forscher weltweit arbeiten an Fleisch aus dem Labor. Das ist kein Imitat, sondern echtes Fleisch, aus denselben Zellen hergestellt, aus denen die Muskeln in Rind, Schwein und Huhn auch bestehen. Der Unterschied: Das Laborfleisch wächst nicht im Körper von Tieren, sondern in Reagenzgefäßen.

Laut einer Studie entlastet diese Art Fleischproduktion im Vergleich zur derzeitigen Herstellung das Klima um 92 Prozent, die Luftverschmutzung um 93 Prozent, es werden 95 Prozent weniger Land und 78 Prozent weniger Wasser verbraucht.

The next big thing? Könnte sein. Um die 80 Unternehmen weltweit arbeiten an Verfahren, so genanntes Clean Meat herzustellen. Es ist kompliziert, die Erfolge noch überschaubar, aber die Branche ist in Aufruhr. Internationale Konzerne aus der Lebensmittelindustrie beteiligen sich mit viel Geld an den Pionieren der Fleisch-Zellkultur. Diese kommen vor allem aus den USA, den Niederlanden und Israel. In China ist mit CellX seit zwei Jahren ein wichtiger Player am Start. CellX hat sich auf die Herstellung von Schweine-, Rind- und Hühnerfleisch spezialisiert, legt aber auch ein Fokus auf Fisch. China ist eines der größten Fischkonsumenten der Welt.

Im Alleingang wird es wohl kein einziges Unternehmen schaffen. Vernetzung, Kooperation und Beteiligungen sind wichtig. So hat sich auch CellX umgeschaut. Und ist fündig geworden … in Berlin. Hier arbeitet das Startup Bluu Seafood an Verfahren, Fischfleisch aus Zellkulturen herzustellen. Noch in diesem Jahre wollen die Berliner ihr erstes Produkt vorstellen. In einer strategischen Partnerschaft unterstützen Blue Seafood und CellX sich jetzt gegenseitig.

Deutschland ist zwar nicht führend in der Zell-Fleisch-Szene – aber mit dabei. Innocent Meat aus Rostock hat sich auf die Fahne geschrieben, die notwendige Technologie für diese Art Fleisch zu optimieren, um sie dann der Lebensmittelindustrie zur Verfügung zu stellen. Wenn alles nach Plan läuft, will Innocent Meat 2024 erste Demoanlagen in Betrieb nehmen und ab Ende 2025 mit der Produktion anfangen.

Alife Foods aus Leipzig arbeitet an einem Schnitzel 2.0. Hergestellt aus Zell-Rindfleisch, Weizeneiweiß, Panade und Methylcellulose. Das Zellfleisch kommt vom Partner Lab Farm Foods aus den USA, mit im Boot ist der Gewürzhersteller Fuchs. Ein erster Prototyp soll noch in diesem Jahr Investoren vorgestellt werden. Auf eine Markteinführung hofft das Unternehmen ebenfalls im Jahr 2025.

Die Herausforderungen bleiben dennoch groß. Zum einem geht es darum, die Produktion der Fleischzellen möglichst günstig und in großen Mengen zu ermöglichen. In der Vergangenheit klappte die Herstellung nur in speziellen Flüssigkeiten, die unter anderem Blut ungeborener Kälber enthalten. Mal abgesehen von den ethischen Bedenken war dieses Verfahren sehr teuer.

Gleich mehrere Unternehmen melden jetzt, Wege gefunden zu haben, die Zellen mit Flüssigkeiten ohne Rinderblut wachsen zu lassen, darunter die beiden niederländischen Hersteller Meatable und Mosa Meat.

Eine effektive Herstellung ist aber nicht die einzige Hürde, die genommen werden muss. Selbst wenn diese optimal gelingt: Fleisch aus dem Labor muss wie jedes andere Lebensmittel zugelassen werden. Und das ist alles andere als trivial. Denn bei dieser Art von Nahrung handelt es sich um etwas ganz Neues. Für Clean Meat gibt es keine feststehenden Zulassungsprozesse. Die müssen erst erarbeitet werden. Das kostet natürlich. Zeit, und damit auch Geld.

Das einzige Land, in dem bisher Zellfleisch grünes Licht von den Behörden bekommen hat, ist Singapur. In einem exklusiven Club können Mitglieder Zell-Chicken-Nuggets bestellen. Die Zulassung hat etwa zwei Jahre gedauert. Mit diesen Zeiträumen rechnen auch andere Hersteller. Und mit Zulassungskosten in siebenstelliger Höhe.

Ob solches Fleisch von den Konsumenten angenommen wird, ist eine weitere, noch völlig offene Frage. Der derzeitige Boom mit den Fleischersatzprodukten aus Soja und Erbsen lässt hoffen, aber eine Garantie gibt es nicht.

Die Zeit drängt. Die Weltbevölkerung wächst stetig, und damit auch der Hunger nach Fleisch. Experten rechnen in ein paar Jahren mit einer Verdopplung des Fleischkonsums weltweit. Nicht nur wegen des Bevölkerungswachstums, sondern weil immer mehr Menschen sich Fleisch leisten können. Mit der herkömmlichen Tierzucht ist das allerdings nicht zu vereinbaren. Mag sein, dass sich jeder einzelne Fleisch finanziell leisten kann. Der Planet Erde als ganzes kann das nicht.

Von Burkhardt Röper, 16. August 2022 · Bild: Lukas@Pexels





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