Kommt jetzt der autonome KI-Arzt?

KI-Software, die CT/MRT-Aufnahmen genauso gut analysiert wie ein Arzt, gibt es ja bereits. Bisher musste stets ein echter Radiologe das Ergebnis absegnen. Das könnte sich schon bald ändern. Brauchen wir dann keine Radiologen mehr?

Ich lag zwar noch nie in der Röhre, aber so langsam dürfte ich damit zu einer Minderheit gehören. Gefühlt bin ich der Einzige, der noch nicht von einem Magnet-Resonanz-Tomographen (MRT) oder Computer-Tomographen (CT) durchleuchtet wurde. Pro 1.000 Einwohner wurden in Deutschland im Jahr 2009 211 Schnittbilduntersuchungen gemacht. Rund 6.800 Radiologen gibt es in Deutschland. Damit liegt Deutschland weltweit in einer Spitzenposition. Umsatz: Etwa 1.87 Milliarden Euro im Jahr 2007. Die Zahlen sind nicht aktuell, heute sind sie wahrscheinlich höher.

Es ist also ein gutes Geschäft. Und ein teures. Die Geräte kosten Unsummen, ebenso die Radiologen, die die Ergebnisse der CT/MRTs auswerten. Röntgenärzte verdienen im Schnitt doppelt so gut wie Hausärzte. Wenn man hier Geld sparen könnte … Aber um die Aufnahmen von CT und MRT richtig auszuwerten braucht man viel Erfahrung und Expertise. Das lassen sich Radiologen halt gut bezahlen.

Doch wie lange noch?

Seit mehrere Jahren nun erscheinen immer wieder Studien, in denen Software basierend auf künstlicher Intelligenz die Auswertung von CT/MRT-Bildern erledigt. Trainiert mit zehntausenden Bildern, die Radiologen in der Vergangenheit in gut/böse oder gesund/ungesund eingeteilt haben, bringen sich Computer innerhalb von Tagen oder Wochen das bei, wofür Fachärzte Jahre brauchen.

Schon unken Zukunftsvisionäre, der Beruf des Radiologen sei in Gefahr. Die goldenen Zeiten dieser Zunft nähere sich dem Ende. Die Fähigkeit zwischen gefährlichen Krebszellen oder harmlosen Wucherungen auf einem MRT-Bild zu unterscheiden, die Radiologen sich durch Betrachten tausender Aufnahmen mühsam angeeignet haben … wegrationalisiert durch einen graue Kiste irgendwo unter dem Schreibtisch, wo Bits und Bytes die Aufgabe mal eben schnell genauso gut erledigen. Disruption macht auch vor den Top-Medizinern kein Halt.

Tatsächlich? Bisher sehen Radiologen diese Entwicklung gelassen. Denn sie wissen: Diese KI-Modelle leisten erstaunliches, aber sie sind nicht perfekt. Wenn es mal etwas kniffliger wird bei der Auswertung, muss doch wieder ein Radiologe her. Und überhaupt: So eine Software kann zwar eine Körper-Schnittbild analysieren. Aber eine Diagnose stellen, das darf weiterhin nur der Arzt.

Noch, denn die Zeiten ändern sich. Oxipit, ein kleines Unternehmen aus Vilnius in Litauen, hat jetzt das Tool ChestLink vorgestellt. Darin arbeitet eine KI, die Röntgenaufnahmen der Brust ohne Aufsicht eines Radiologen auswertet – also völlig autonom. Erkennt ChestLink keine verdächtigen Zellen in den Aufnahmen, schickt es automatisch einen Patientenbericht. Findet die Software auffällige Stellen, wird der Radiologe gerufen.

Ohne Facharzt geht es hier also auch nicht. Dennoch ist dies ein weiterer Schritt in Richtung autonome Medizin in der Radiologie. Kürzlich hat ChestLink eine CE-Zertifizierung der EU erhalten, entspricht also den geforderten technischen Sicherheitsstandards. Das sagt erstmal wenig über die medizinische Sicherheit aus. Die muss Oxipit bei der Zulassung durch die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA beweisen. Eine ungleich höhere Hürde, die das litauische Unternehmen als nächstes anpeilt.

Ob das gelingt, wird sich zeigen. Denn so gelassen sich Ärzte in Sachen KI in der Medizin zeigen: Skepsis macht sich hier und da schon breit. In Experten-Runden erklären Radiologen vorsichtshalber, KI in der medizinischen Bildgebung sei noch nicht reif für den klinischen Einsatz. Das hört sich nicht nach einer baldigen Zulassung an.

Oxipit hält dagegen mit der Behauptung, ChestLink hätte während der Pilotphase keine „klinisch relevanten Fehler“ gemacht und glaubt: Im Jahr 2023 wird das erste autonome Gerät in einer Klinik oder Praxis in Betrieb gehen.

Von Burkhardt Röper, 11. April 2022 · Bild: stockunlimited





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